Starke Impulse für den Rücken

Jän 29, 2022

© iStock_Visivasnc

BVdO Jahrestagung 2021

Die Wirbelsäule stand im Fokus der Jahrestagung des Berufsverbandes Österreichischer Fachärzte für Orthopädie (BVdO) im November in Wien. Konservative und operative Möglichkeiten zur Behandlung von Rückenschmerzen wurden präsentiert, aber auch gesundheitspolitische Fragen standen zur Diskussion.

Das Programm wurde in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie (ÖGO) erstellt. Die wissenschaftliche Leitung der Veranstaltung hatten BVdO-Präsident Prof. Dr. Ronald Dorotka und ÖGO-Präsidentin Prof. Dr. Catharina Chiari.

Einleitend referierte Prof. Dr. Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, zum Thema „Extramurale Gesundheitsversorgung 2030 – Visionen und Realität“. Aufgrund der demografischen Entwicklung steigt der Bedarf an medizinischer Versorgung kontinuierlich. Gleichzeitig wird – vor allem im Kassenbereich – ein Ärztemangel für die nächsten Jahre prognostiziert. „Die extramurale Gesundheitsversorgung in Österreich steht somit vor einer der größten Herausforderungen der Nachkriegszeit“, so Szekeres. Die Orthopädie wird davon besonders betroffen sein, denn laut einer Analyse der ÖÄK werden 62 % der Orthopäden mit Kassenvertrag in den nächsten 10 Jahren das Pensionsalter erreichen. Um diesem Trend entgegenzuwirken bedürfe es eines Maßnahmenbündels, meint Szekeres. Kassenverträge müssten attraktiver werden und Präventionsarbeit müsse verstärkt werden. Den Stellenwert von konkreten Präventionskonzepten hob auch Dr. Peter Machacek, Baden, hervor. In der konservativen Orthopädie und Rehabilitation gewinnen telemedizinische Versorgungskonzepte immer mehr an Bedeutung.

Konkret und praxisbezogen beschrieb anschließend Dr. Rudolf Keusch, Wien, verschiedene Infiltrationstechniken an der Wirbelsäule und erläuterte Vorteile und Einsatzgebiete der diversen injizierbaren Substanzen. Dr. Helmut Liertzer, Hinterbrühl, präsentierte Kasuistiken von Patienten mit therapieresistenten Schmerzen, die letztendlich mit Neuraltherapie erfolgreich behandelt werden konnten. Er wies auch darauf hin, dass Probleme in der Halswirbelsäule ihre Ursache im HNO- oder Kieferbereich haben können.

Aus Schleswig-Holstein kam Prof. Dr. Ludger Gerdesmeyer, um über die extrakorporale Magnetotransduktionstherapie (EMTT) zu berichten. Im Gegensatz zur Magnetfeldtherapie, die mit statischen Magnetfeldern arbeitete und damit wenig erfolgreich war, hat die EMTT nachweislich eine nützliche biologische Wirkung und kann im Rahmen eines multimodalen Therapiekonzepts u. a. bei posttraumatischen Weichteilödemen, Knochenmark­ödemen, Osteoarthritis oder Rückenschmerz als ergänzende Therapie in Betracht gezogen werden.

Über Anwendungsgebiete für PRP („platelet-rich plasma“) an der Wirbelsäule sprach Dr. Bernhard Zillner, Wien. Sie reichen von Radikulopathie über Bandscheibendeneration bis hin zur Facettengelenks- und ISG-Arthrose. Voraussetzungen sind eine sorgfältige Differenzialdiagnostik und Patientenauswahl sowie eine gute Injek­tionstechnik (Bildwandler, Ultraschall).

In seinem zweiten Vortrag präsentierte Dr. Peter Machacek die S2k-Leitlinie „Spezifischer Kreuzschmerz“ (AWMF 033-051). Diese sollte herangezogen werden, wenn die leitliniengerechte Therapie nach der Nationalen Versorgungsleitlinie „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ nicht zielführend ist und der Verdacht auf eine spezifische Ursache besteht. Neben den Facetten- und ISG-Gelenkschäden und den degenerativ bzw. entzündlich bedingten Erkrankungen finden sich in den Leitlinien auch myofasziale und hypomobile segmentale Dysfunktionen unter den spezifischen Ursachen. Diese Schmerzbilder wurden – obwohl schon lange bekannt – erst spät in die Leitlinien und in die ICD-Codierung aufgenommen.

Schwangere Frauen sind sehr häufig von Rückenschmerzen betroffen, wobei die Gefahr einer Chronifizierung über die Schwangerschaft hinaus besteht, wie Dr. Manfred Riegler aus Wien betont. Dennoch bleiben Schwangere mit Rückenschmerzen oft unter- oder gar unbehandelt. Dabei stünden gute Therapieoptionen zur Verfügung. Insbesondere die Methoden der manuellen Medizin bleiben oft ungenützt, obwohl die Erfolge gut sind: Laut Riegler werden 41 % der Patientinnen durch Chirotherapie schmerzfrei, bei 76 % kann eine signifikante Schmerzreduktion erreicht werden (durchschnittliche VAS-Reduktion von 6,1 auf 2,0).

Rückenschmerzen können auch ein Symptom von Osteoporose sein

Dr. Judith Haschka, Internistin aus Wien, gab in ihrem Vortrag einen Überblick über Osteoporose: von der Diagnose bis zur knochenspezifischen Therapie. Für Hausärzte, Orthopäden und Unfallchirurgen sei es vor allem wichtig, bei Rückenschmerzen an vertebrale Frakturen zu denken und bei Signalfrakturen (vertebrale Fraktur, Hüft-, Radius-, Humerus- oder Beckenfraktur) den entsprechenden Diagnostikpfad einzuleiten. Die DXA ist zwar der Goldstandard der Osteoporosediagnostik, so Haschka, liefert aber gerade bei älteren Menschen oft falsch negative Ergebnisse, da die Messungen durch degenerative Veränderungen, z. B. Aortenverkalkungen, verfälscht werden können. Die ergänzende Messung des „Trabecular Bone Score“ (TBS) ermöglicht verlässlichere Prognosen für das Frakturrisiko.

„Bei Wirbelkörper- oder proximaler Femurfraktur kann unabhängig vom DXA sofort eine medikamentöse Therapie gestartet werden“, erklärt Haschka. In jedem Fall soll die Therapie an das Risikoprofil des Patienten adaptiert werden (Sequenztherapie basierend auf individuellem Frakturrisiko). Der Behandlungserfolg soll regelmäßig evaluiert werden. Vor allem ist ein unkontrolliertes Absetzen einer Therapie, insbesondere bei Denosumab und Teriparatid, zu vermeiden. Stattdessen soll eine Konsolidierungstherapie gemäß den Empfehlungen der Fachgesellschaften erfolgen.

Neuigkeiten aus der Wirbelsäulenchirurgie

Nach einem Überblick über die Standardversorgungen in der Wirbelsäulenchirurgie ging Prof. Dr. Petra Krepler, Wien, auf personalisierte Versorgungsmöglichkeiten, beispielsweise individuell angefertigte Schrauben und Bohrschablonen, ein. Auch moderne Entwicklungen wie Artificial Intelligence, Roboterchirurgie, roboterassistierte Navigation und „Augmented Reality“ haben Einzug in die Wirbelsäulenchirurgie gehalten. Eine Neuerung für die Behandlung von idiopathischen Skoliosen stellt das „Vertebral Body Thethering“ dar. Hier wird ein Kunststoffseil an der konvexen Seite der Skoliose angebracht.

Dr. Markus Strickner, Klinik Floridsdorf, Wien, präsentierte die neuesten Möglichkeiten in der chirurgischen Behandlung von Early-onset-Skoliosen. Weil das jährliche „Nachstellen“ von herkömmlichen Wachstumsimplantaten eine erhebliche Belastung für die Kinder und ihre Familien darstellt, wurden Implantatsysteme etabliert, die mit einem magnetischen Mechanismus ohne offene Operation perkutan angepasst werden können. Diese „magnetic rods“ werden minimal invasiv subfaszial implantiert. Strickner: „Je nach Körperwachstum kann der Stab alle 3–4 Monate ambulant und ohne Narkose um 2–7 mm verlängert werden.“ Das Nachstellen ist für die Patienten schmerzlos.

Ein weiteres innovatives Wachstumssystem, das VEPTR („Vertical Expandable Prosthetic Titanium Rib“), setzt nicht direkt an der Wirbelsäule an, sondern macht eine indirekte Korrektur der Wirbelsäule über Rippenspreizung.

Bei kurzstreckigen kongenitalen Deformitäten kann auch eine direkte Korrektur versucht werden. Die Fehlbildung wird dabei gelöst oder reseziert. Nach einer kurzstreckigen Spondylodese können die Kinder dann normal weiter wachsen und es sind meist keine weiteren lenkenden Operationen nötig. Insbesondere Halbwirbel können mit dieser Technik erfolgreich beseitigt werden.

„All diese Operationen sollten nur von Spezialisten und immer unter Neuromonitoring durchgeführt werden“, betonte Strickner.

Bericht:
Mag. Christine Lindengrün

Quelle:
BVdO-Jahrestagung 2021, 20. November 2021, Wien